Die Rahmung der Gewalt

17 Seiten | Autor: David Scott

Der Boxring ist einer der anziehendsten und beunruhigsten Räume der modernen Zivilisation. Unter den Boxschriftstellern mit auch nur etwas aktiver Erfahrung in diesem Sport gibt es nur wenige, die sich nicht über die komplexen und sogar gegensätzlichen Gefühle von Beklommenheit und Begeisterung, die sie beim Eintritt in ihn überkamen, äußerten. Für das Publikum dagegen bietet der erhöhte Ring mit dem blendend weißen oder (in jüngerer Zeit) blauen Boden und den ihn einschließenden Seilen einen Fokus für den Blick und ein Rahmenwerk für die bevorstehende Aufregung, die in der Welt des Sports und der Unterhaltung wahrscheinlich nicht ihresgleichen hat. Ein großer Teil dieser Anziehungskraft und Angst ist natürlich die Funktion einer Projektion: Für den Kämpfer ist der Ring ein Theater potentiellen Schmerzes, von Erschöpfung und Gefahr, während er zugleich die Möglichkeit von Sieg und entsprechendem Ruhm und Reichtum (verschiedenen Ausmaßes) bietet. Er ist ein leeres Blatt, auf dem vielleicht ein Kapitel einer Sportkarriere, ein Schicksal oder sogar ein ganzes Leben geschrieben wird. Für das Publikum ist es ein Theater, in dem ein improvisiertes Stück aufgeführt wird – nach konventionellen Regeln, doch mit einem Ausgang, den niemand mit Gewißheit voraussagen kann. Es handelt sich um einen Wettkampf, in den beide Kombattanten finanzielle, ethnische, nationale, kulturelle oder andere symbolische Werte investiert haben mögen, in dem sich in Abhängigkeit von seinem Verlauf aber die Loyalitäten ändern können. Vielleicht muß der regierende Champion einem Underdog weichen oder dem Außenseiter gestatten, sich der Meisterkrone zu bemächtigen. Ein besonderes Paradox dieses Raumes ist, dass er sowohl ein Ort der Ordnung als auch einer potentiell chaotischen Handlung ist. Seine geometrische Form, die Seile, die Bodenoberfläche und die erhöhte Lage zeichnen ihn als einen höchst sichtbaren und regulierten Raum aus, aber die Handlung in ihm beschreibt Parabeln von Bewegungen, Stellungsverschiebungen, Gestöber von Aktionen und ein Dénouement, das so verheerend wie unvorhersehbar sein kann. Obgleich der Boxring, wie das Gym, soziologisch gesehen, einen Platz für das kontrollierte Freilassen von Aggression bereitstellt, die sonst vielleicht auf der Straße ausbricht, bietet er aus psychologischer Perspektive auch ein Ventil für die Zurschaustellung gewalttätiger und aggressiver Handlungen. Das Zusammenspiel dieser zwei Tendenzen – Freisetzung einerseits, Kontrolle andererseits – erzeugt die spezielle Spannung und Erregtheit, die untrennbar mit der Boxerfahrung verbunden ist.

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Erschienen in
Berliner Debatte 4 | 2011
Die kapitalistische Moderne nach der Postmoderne
168 Seiten

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