Geschichtswissenschaft und Sozialwissenschaften
5 Seiten | Autor: Hans-Ulrich Wehler
Wer sich in den 1950er und 1960er Jahren der Geschichtswissenschaft zuwandte, traf auf eine schlechterdings verblüffende Arroganz der deutschen Historikerzunft. Seit Ranke, das war die feste Überzeugung ihrer erdrückenden Mehrheit, habe sich die deutsche Geschichtswissenschaft nicht nur an die Spitze der internationalen Entwicklung gesetzt, sondern diese Führungsposition auch seither unangefochten weiter behauptet – bis in die unmittelbare Gegenwart hinein. Da ihr der internationale Vergleich und die lebensgeschichtliche Erfahrung von Auslandsaufenthalten durchweg fehlten, war ihr entgangen, dass die englische, französische, amerikanische Wirtschafts-, Sozial-, Politik- und Kulturgeschichte einen mächtigen Sprung nach vorn getan hatten, zudem von einer lebhaften Theoriediskussion vorangetrieben wurden. Obwohl sich zahlreiche deutsche Historiker mit dem Nationalsozialismus arrangiert, ja ihm ein erschreckendes Maß an Unterstützung verliehen hatten, blieb zunächst eine Debatte über die diskreditierten politischen und erkenntnistheoretischen Prämissen der dominierenden Denkschule des Historismus aus. Allenfalls löste der Schock von Diktatur, Vernichtungskrieg und Holocaust allmählich geradezu rührende Bemühungen um einen moralisch geläuterten Historismus aus, der sich mit einem unveränderten Bekenntnis zu seiner Hermeneutik verband.
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