Berliner Debatte Initial 1 | 2004

Zeit der Paradoxien

Herausgeber: Hartwig Schmidt

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Auf den ersten Blick handelt es sich einfach um einen anschwellenden Wortgebrauch. Der Begriff „Paradoxien“ erfreut sich wachsenden Zuspruchs. Auffälligerweise taucht er immer häufiger in Publikationen auf, die vordergründig soziale und kulturelle Gegenstände verhandeln. Also nicht dort, wo er traditionell beheimat ist: in der theoretischen Philosophie, in der philosophischen und mathematischen Logik. Vor allem soziologische, ökonomische, politologische, kulturwissenschaftliche und sozialphilosophische Untersuchungen stoßen heute zielsicher auf Paradoxien bzw. auf das, was sie dafür halten. Was in unserer sozialen Welt Rang und Namen hat – Modernismus, Demokratie, Globalisierung usw. –, ist längst für paradox befunden worden; sogar an Familienfeiern hat man jüngst die nämliche Struktur ausgemacht und ein „Paradox des Festes“ enthüllt. Es fragt sich, was die „Paradoxien-Schwemme“, wie das manche bereits nennen, näher besehen zu bedeuten hat. Handelt es sich bloß um einen modischen und mithin inflationären Wortgebrauch, der paradox nennt, was ehedem als Widerspruch, Konflikt oder Ambivalenz bezeichnet und dieserart auch treffend erfaßt wurde? Oder handelt es sich um das Bestreben, unter dem eigentümlichen Terminus ebenso eigentümliche Phänomene auf den Begriff zu bringen? Wird gewissermaßen alter Wein in neuen Schläuchen feilgeboten, oder hilft der reüssierende Begriff, etwas zu erschließen, das, als Widerspruch, Ambivalenz oder Konflikt genommen, allzu pauschal und vage, wenn nicht sogar falsch gefaßt würde? Gewisse Anzeichen deuten in beide Richtungen.

Schlagworte: Kapitalismus | Moderne | Demokratie | Doxa

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